10 Jahre Öffnung der Energiemärkte

Heute vor 10 Jahren verkündete der Bundespräsident Roman Herzog das Gesetz zur Neuregelung der Elektrizitäts- und Gasversorgung in Deutschland (Energiewirtschaftsgesetz 1998). Das Gesetz sollte für den Energiemarkt leisten, was zuvor im Telekommunikationsbereich gelungen war – freier Wettbewerb und sinkende Preise. Diese Hoffnungen konnten bisher nur teilweise erfüllt werden.

Verivox startet zum zehnjährigen Jubiläum der Energiemarktliberalisierung zusammen mit dem Bitburger Energierechtsanwalt Hanno Blatzheim eine Artikelserie rund um die Themen Strom und Gas.
Den Auftakt dieser Serie bildet ein Überblick über den Strommarkt und seine Entwicklung in den letzten 10 Jahren. Direkt nach der Öffnung des Strommarktes trat der erhoffte Preissturz ein, doch nur um zwei Jahre später in eine Preisexplosion umzuschlagen. Was sind die Gründe dafür?
In den folgenden wöchentlichen Beiträgen werden alle wichtigen Faktoren der Energiemarktliberalisierung thematisiert. In der kommenden Woche wird über die schleppende Öffnung des Gasmarktes und den langsam beginnenden Wettbewerb in diesem Sektor berichtet. Danach werden die Strom- und Gasnetze, die Energiebörsen und die Rolle der Energiesteuern thematisiert. Zum Abschluss der Serie werden die Energiekosten in Deutschland als Standortfaktor und Auslöser von Verbraucherinsolvenzen betrachtet.

Rechtsanwalt Hanno Blatzheim, ist seit 1996 auf dem Spezialgebiet des Energierechts tätig und lt. ZDF Magazin Frontal einer der Experten in Deutschland.

10 Jahre Strommarktliberalisierung

  • 10 Jahre Strommarktliberalisierung
  • Explodierende Verbrauchspreise
  • Warum stiegen die Preise so drastisch?
  • Stromanbieterwechsel heute
Heute vor 10 Jahren verkündete der damalige Bundespräsident Roman Herzog das Gesetz zur Neuregelung der Elektrizitäts- und Gasversorgung (Energiewirtschaftsgesetz 1998). Nachdem die Liberalisierung des Telefonmarktes zuvor drastische Preissenkungen von 70 Prozent und mehr bewirkt hatte, ging man davon aus, dass ähnliche Entwicklungen auf dem Energiemarkt nur eine Frage der Zeit wären.Im Frühjahr 1999 schrieb die deutsche Presse euphorisch über den beginnenden Wettbewerb und das Ende des Monopols der etablierten Stromkonzerne. So berichtete etwa „Der Spiegel“ im Juli 1999 von einer bevorstehenden Preisrevolution. Nach Angaben eines RWE-Managers kenne der Strompreis nur noch eine Richtung: „Steil nach unten!“Angespornt von den positiven Entwicklungen auf den Telekommunikationsmärkten strebten alternative Stromlieferanten danach, Marktanteile zu erobern. Namen wie Ares, Riva, Ampere AG, Vasa, Empower oder Zeus Strom AG machten die Runde.Die meisten Pioniere scheiterten am NetzzugangSchon in der Mitte des Jahres 2000 setzte allerdings das große Sterben vieler neuer Stromanbieter ein. Ares, Riva und die Zeus Strom AG meldeten Insolvenz an, andere Mitbewerber wurden verkauft oder verschwanden einfach vom Markt.Ein Hauptgrund für diesen Misserfolg war, dass den alternativen Stromlieferanten ein preisgünstiger und hindernisfreier Zugang zu den Versorgungsnetzen verwehrt war. Denn im Gegensatz zum Telekommunikationsmarkt war bei der Liberalisierung der Energiemärkte keine überwachende Regulierungsbehörde geschaffen worden. Die Bedingungen für den Anbieterwechsel konnten so von den etablierten Anbietern, die natürlich kein Interesse an großen Marktbewegungen hatten, praktisch diktiert werden.

Vor allem regionale Versorger mit besonders hohem Preisniveau profitierten von der Tatsache, dass es keine Regulierungsbehörde gab, die über einen diskriminierungsfreien Zugang zu den Versorgungsnetzen wachte. Die neuen Stromanbieter hatten Kunden zu Wettbewerbspreisen zwischen 10 und 12 Cent pro Kilowattstunde gewonnen und mussten diese nun zu Preisen von 15 bis 20 Cent pro Kilowattstunde auf dem Wege der „Beistellung“ versorgen. Gleichzeitig ging die Stromwirtschaft durch einen beispiellosen Konsolidierungsprozess, dessen Ergebnis die Etablierung der heute bekannten vier „Energieriesen“ RWE, E.ON, Vattenfall und EnBW ist.

Der lange Weg zur Regulierungsbehörde

Die Appelle der jungen Stromunternehmen, die für diese Art des Wettbewerbs nicht die entsprechenden finanziellen Rücklagen hatten, wurden von der Rot-Grünen Regierung nicht erhört. Weder der parteilose Wirtschaftsminister Werner Müller (wechselte 2003 in den Vorstand der E.ON Ruhrgas AG) noch der Nachfolger Wolfgang Clement (wechselte im Februar 2006 in den Aufsichtsrat von RWE Power) sahen sich zur Schaffung einer Regulierungsbehörde veranlasst.

Auf Druck der Europäischen Union wurde im Juli 2004 ein zweites Gesetz zur Neuregelung des Energiewirtschaftsrechts vorgelegt. Mitte des Jahres 2005 wurde eine Regulierungsbehörde in Form der Bundesnetzagentur in Bonn etabliert, die 2006 auch die Aufsicht über den Energiesektor übernahm. Doch erst im Jahr 2007 wurden die beantragten Netzentgelte durch die Regulierungsbehörde um rund drei Milliarden Euro gekürzt. 2008 folgten weitere Kürzungen, die z. B. bei den Übertragungsnetzen der RWE um 28 Prozent niedriger lagen als ursprünglich beantragt. Zusätzlich veröffentlichte die Bundesnetzagentur im Sommer 2007 die „Geschäftsprozesse zur Kundenbelieferung mit Elektrizität“ (GPKE), welche die Kommunikation zwischen den Energieversorgern einheitlicher und eindeutiger gestalten sollen.

Nach der Liberalisierung des Strommarktes 1998 sanken die Strompreise sowohl für Großkunden als auch für Privatkunden zwei Jahre lang stetig. Während sich die Preise für private Verbraucher um über 15 Prozent verbilligten, konnten gewerbliche Großverbraucher häufig von noch größeren Preissenkungen profitieren. Dieser Trend schlug mit der Jahrtausendwende jedoch um – seither stiegen die Preise für Strom jedes Jahr

Während die durchschnittliche Preissteigerung laut Erzeugerverband BDEW seit 1998 bei etwa 21 Prozent liege, zeigt die Betrachtung von Einzelfällen eine weitaus drastischere Entwicklung.

So wurden zu Beginn der Liberalisierung bundesweite Tarife angeboten, bei denen eine Kilowattstunde Strom z.B. 19 Pfennig (10 Cent) kostete und pro Monat 19 D-Mark (9,71 Euro) Grundgebühr fällig wurden. Heute würde ein derartiges Angebot beim gleichen Anbieter (PLZ 54634) zwar eine geringere monatliche Grundgebühr von 7,67 Euro aufweisen, die Kilowattstunde würde aber 19,93 Cent kosten. Bei einem Verbrauch von 4000 kWh jährlich ergibt sich daraus eine Mehrbelastung von 373 Euro im Jahr 2008, was einer Preissteigerung von 72 Prozent seit 1999 entspricht.

Die Gründe für den unaufhaltsamen Anstieg der Preise sind stark umstritten. Die Energieversorger verweisen regelmäßig auf den hohen Staatsanteil (40 Prozent in 2007) an den Stromkosten, der sich seit 1998 versechsfacht hat. Ein großer Teil dieser zusätzlichen Steuerlast stammt aus der Förderung Erneuerbarer Energien, aber auch Konzessionsabgaben und die erhöhte Mehrwertsteuer tragen ihren Teil bei. Weiterhin seien die weltweit steigenden Preise für Energieträger aller Art Schuld an der Preisexplosion.

Verbraucherverbände und Politiker sehen in den Energieriesen die Hauptpreistreiber, die stets nur die Maximierung des Unternehmensergebnisses vor Augen hätten. Sie führen die jährlich steigenden Rekordgewinne der großen Energieversorger an und vermuten, dass die Preise an der Strombörse manipuliert werden. Künstliche Erhöhungen der Strompreise an der Energiebörse seien aufgrund der geringen Zahl von Marktteilnehmern sehr einfach durchzuführen. Eine entsprechende Untersuchung des Bundeskartellamtes läuft seit Ende letzten Jahres.

Die EU sieht die Verflechtung von Stromproduktion und –vertrieb, die von den großen Energiekonzernen zwar jeweils in Tochterfirmen ausgelagert wurden, aber dennoch deren Kontrolle unterliegen, als größten Hemmschuh für einen offenen Wettbewerb mit sinkenden Preisen. Nach dem Willen der EU-Wettbewerbskommissarin Neelie Kroes sollen daher die Geschäftsbereiche Produktion und Vertrieb zwangsweise voneinander unabhängig gemacht werden („Unbundling“). Nur wenn das natürliche Monopol der Stromübertragungsnetze in einer Hand ruhe, die nicht am privilegierten Netzzugang einiger Anbieter und an höheren Zugangsschwellen für andere Versorger interessiert sei, werde es einen wirklichen offenen Wettbewerb geben, so die Argumentation.

Die Bundesregierung steht diesen Plänen ablehnend gegenüber und propagiert den so genannten „Dritten Weg“, wonach die Netze an die bestehenden Stromkonzerne angegliedert bleiben sollen. Ende Februar verblüffte der E.ON-Konzern sowohl die Bundesregierung als auch die Öffentlichkeit mit der Ankündigung, aus freien Stücken einen Teil des Netzes für die Fernübertragung von Strom verkaufen zu wollen. Dieses Angebot kommt den EU-Plänen jedoch nur teilweise entgegen, denn die so genannte „letzte Meile“ des Stromnetzes, über welche die Endverbraucher versorgt werden, bleibt dabei immer noch in der Hand des Energieriesen, der somit nach wie vor in jeden Anbieterwechsel einbezogen werden müsste.

Nach den teilweise nicht sehr erfolgreichen frühen Versuchen alternativer Stromversorger, den Strommarkt aufzubrechen, ist die Palette der verfügbaren Anbieter im Laufe der Jahre stetig gewachsen. Die großen Energiekonzerne haben Tochtergesellschaften gegründet, die überregional Strom anbieten (z.B. Yello, eprimo, E wie Einfach). Daneben gibt es Stadtwerke oder Zusammenschlüsse von Stadtwerken (z.B. Stadtwerke Flensburg , Trianel, Secura), die in den deutschlandweiten Wettbewerb eingestiegen sind. Für den meisten Wirbel sorgten unabhängige Anbieter (z.B. TelDaFax, FlexStrom, Bonus Strom), die durch alternative Zahlungsmodelle per Vorauskasse oder Sonderabschlagszahlung die Mitbewerber häufig unterbieten.

Nach Angaben des Verbandes der Elektrizitätswirtschaft haben bis zur Mitte des Jahres 2007 rund 47 Prozent der Haushalte schon einmal den Stromtarif gewechselt, wobei der Großteil der Stromabnehmer allerdings beim bisherigen Versorger geblieben ist. Nur etwa zehn Prozent der Haushalte haben einen tatsächlichen Wechsel des Stromanbieters vorgenommen – eine Zahl, die zehn Jahre nach der Liberalisierung des Strommarktes überrascht. Denn zum einen ist der Stromanbieterwechsel einfach und risikolos – die Stromversorgung ist während des gesamten Wechselprozesses gewährleistet. Zum anderen können durch den Anbieterwechsel oft mehrere hundert Euro jährlich eingespart werden.

Die Liberalisierung des Strommarktes ist auch nach zehn Jahren nicht vollkommen abgeschlossen und hat noch große Entwicklungsmöglichkeiten. Neutrale Informationen zu den immer zahlreicher werdenden Stromversorgern und ihren Angeboten werden in der Zukunft einen immer größeren Stellenwert einnehmen. Denn ein wirklich freier Wettbewerb benötigt neben den passenden politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen vor allem informierte und kritische Verbraucher, die wissen, auf was es ankommt.

Zum Gastautor

Rechtsanwalt Hanno Blatzheim aus Bitburg ist seit 1996 auf dem Gebiet des Energierechts tätig und vertritt gewerbliche und private Verbraucher in Sachen Gas, Strom und Fernwärme. Seine Expertise konnte er unter anderem bei Kooperationen mit dem ZDF Magazin „Frontal“ und dem Nachrichtenmagazin „Focus“ unter Beweis stellen.

Auszug Pressespiegel/Veröffentlichungen:

– 1996 Magazin Focus, überhöhte Abrechnungen deutscher Energieversorger

– April 1998, Leitfaden zur Stromkostenreduzierung im Elektrizitätsbinnenmarkt

– September 1998 ZDF Magazin Frontal, „Stromrechnungen überhöht – so kriegen Sie Ihr Geld zurück.“

– November 2008, ZDF Magazin Frontal, „Wie Stromkonzerne abzocken.“

– 29.10.1999 Start des Internetportals www.stromkosten.de 

– Dezember 1999, Vorstand Energypool AG

– 03.01.2000 Expertenteam Wiso

– 07.11.2000 Bündelkunden Strom u. Gas usw.

– aktuelle Kooperationen:

Dow Jones, Princeton New Jersey, Publikation von europäischen und amerikanischen Strom- und Energiepreisindizes

Deka Bank, Frankfurt, Volkswirtschaftliche Abteilung Makroresearch im Bereich Rohstoffe und Energie

 

Über Rechtsanwalt Hanno Blatzheim

Rechtsanwalt Hanno Blatzheim ist seit 1997 (Magazin Focus) auf dem Spezialgebiet des Energierechts tätig. Er hat die Liberalisierung des Energiemarktes seit April 1998 von Beginn an begleitet und schon 1997 im Nachrichtenmagazin Focus und 1998 und 1999 im ZDF-Magazin Frontal auf erhebliche Missstände bei Stromtarifen und Stromabrechnungen hingewiesen. Laut ZDF-Magazin Frontal ist er einer der Experten in Deutschland. Er berät Energieverbraucher und Unternehmen in Deutschland und Europa in allen rechtlichen Fragen der Energieversorgung. Für Stromkosten. de und Energiekosten.de schreibt er exklusiv über aktuelle Themen und berichtet aus der anwaltlichen Praxis.