Teil 3 der Serie „10 Jahre Strom- und Gasmarktliberalisierung in Deutschland

Das deutsche Stromnetz umfasst eine Länge von 1,7 Millionen Kilometern und ist in vier Spannungsebenen eingeteilt. Das Niederspannungsnetz, mit dem die allermeisten Endverbraucher versorgt werden, macht über eine Million Kilometer aus, während die Fernübertragungsnetze sich zu einer Länge von etwa 40.000 km addieren. Diese Netze befinden sich auf der Niederspannungsebene hauptsächlich im Besitz von Stadtwerken und anderen lokalen Versorgern, die Fernübertragungsnetze gehören vor allem den großen Energiekonzernen. Diese riesige Infrastruktur ist der Schlüssel zu einem offenen und fairen Wettbewerb auf dem Strommarkt.

Mit dem Energiewirtschaftsgesetz vom 24.04.1998 hatte sich der Gesetzgeber für eine Öffnung der Strommärkte in Deutschland entschieden. Dabei wurde festgelegt, dass die Nutzung der Stromnetze kostenorientiert und diskriminierungsfrei sein solle. Im Zuge der Energiemarktliberalisierung wurde der tatsächliche Zugang zu den Stromnetzen jedoch weder im Einzelnen gesetzlich geregelt noch von einer Regulierungsbehörde überwacht. Dies sollte sich als Versäumnis mit weitreichenden Folgen für den deutschen Energieverbraucher herausstellen.

Anstatt 1998 eine Regulierungsbehörde für die Bestimmung der Durchleitungsbedingungen und der Netzentgelte zu installieren, vertraute die damalige Rot-Grüne Bundesregierung auf die „Selbstregulierungskräfte der Stromwirtschaft“. Das Bundeswirtschaftsministerium wurde zwar ermächtigt, durch Rechtsverordnungen einen regulierenden Einfluss auszuüben, das Eingreifen des Ministeriums wurde jedoch nicht wirklich erwartet – die Stromwirtschaft sollte sich selbst regulieren.

Dieser Politik entsprechend wurden am 22.05.1998 mit der „Verbändevereinbarung I“ unverbindliche Kriterien zur Bestimmung von Durchleitungsentgelten eingeführt. An dieser Vereinbarung waren unter anderem der Verband der industriellen Energie- und Kraftwirtschaft in Essen (VIK) und der Verband der Elektrizitätswirtschaft in Berlin (VDEW) und der Bundesverband der deutschen Industrie in Berlin (BDI) beteiligt.

Diese Vereinbarung wurde vor allem vom Begriff der „Durchleitung“ geprägt. Die Nutzung des Stromnetzes durch alternative Anbieter wurde als aufwändige Transaktion behandelt, die in allen Einzelheiten voraus geplant und anhand eines „Fahrplans“ eingereicht werden musste. Der damit verbundene Verwaltungsaufwand war viel zu groß, um einen massenhaften Anbieterwechsel möglich zu machen.

Die erste Verbändevereinbarung wurde am 13.12.2001 durch die sogenannte Verbändevereinbarung II (plus) abgelöst, die frühere Defizite kompensieren sollte. Doch auch diese freiwillige Netzzugangsregelung erwies sich für die alternativen Stromanbieter als untauglich – viele von ihnen stellten ihre Geschäfte im folgenden Jahr ein.

Das gleich zu Beginn der Energiemarktliberalisierung keine Regulierungsbehörde für die Übertragungsnetze eingesetzt wurde, ist aus damaliger und heutiger Sicht unverständlich. Denn im Rahmen der nicht zwingenden Verbändevereinbarungen konnten die Netzbetreiber den neuen Anbietern den Zugang verwaltungstechnisch erschweren und die Netznutzungsentgelte relativ frei gestalten.

Dass die Gebühren für die Nutzung der Stromnetze in Deutschland ungewöhnlich hoch waren, wurde bereits im Jahr 1999 festgestellt. Aus dieser Zeit liegt eine Studie des US-Konzerns Enron vor, der nach der Energiemarktliberalisierung erfolglos den Eintritt in den deutschen Strommarkt plante (Energiewirtschaftliche Tagesfragen 1999, Heft 7).

Im Rahmen der Studie wurden die Übertragungsnetzentgelte auf Hoch- und Höchstspannungsebene zwischen 66.000 und 220.000 Volt in Deutschland, England, Wales, Norwegen und zwei Marktsegmenten der USA untersucht. Dieser internationale Vergleich zeigte das hohe Niveau der deutschen Netznutzungsentgelte. So betrugen beispielweise die Übertragungsentgelte auf der 110.000 Volt-Ebene bei einer Entfernung von 500 km in den Schwachlaststunden 25,05 Euro pro Megawattstunde und in den Vergleichsmärkten nur 3,57 Euro pro Megawattstunde.

Die Netzentgelte und Netzzugangsregelungen nach den Verbändevereinbarungen I und II führte auch im innerdeutschen Vergleich zu stark unterschiedlichen Ergebnissen. So lag der durchschnittliche Netznutzungspreis für Haushaltskunden und Gewerbekunden auf Niederspannungsebene bei 6,12 Cent pro Kilowattstunde. Einzelne Anbieter, speziell in den neuen Bundesländern, verlangten jedoch für die gleiche Leistung 8,05 Cent pro Kilowattstunde. Bei den gewerblichen Mittelspannungskunden betrugen die Preisunterschiede innerhalb der deutschen Netze sogar mehr als 100 Prozent. Von einem transparenten Preissystem bei den Netznutzungsentgelten und einem diskriminierungsfreien Zugang für Drittanbieter konnte also keine Rede sein.

Mitte des Jahres 2005 wurde eine Regulierungsbehörde in Form der Bundesnetzagentur in Bonn etabliert, die 2006 auch mit der Aufsicht über die Energienetze beauftragt wurde. Diese wirkte sich sowohl auf die, nun bei der Bundesnetzagentur zu beantragenden, Netzentgelte als auch auf den Zugang zu den Netzen aus.

Ab dem Jahr 2007 wurden die beantragten Netzentgelte durch die Regulierungsbehörde um rund 3 Milliarden Euro gekürzt. Es folgten weitere Kürzungen, die bei den Übertragungsnetzbetreibern zwischen 25 und 29 Prozent lagen. Weitere Kürzungen beantragter Netzentgelte sind zu erwarten.

Im Sommer 2007 veröffentliche die Bundesnetzagentur die „Geschäftsprozesse zur Kundenbelieferung mit Elektrizität“ (GPKE), welche eine weitere Verbesserung der Kommunikation zwischen Energieversorgern und Netzbetreibern ermöglichen sollen. Diese Kommunikationsstandards sind in der Branche jedoch noch nicht vollständig umgesetzt.

Das wichtigste Instrument der Bundesnetzagentur für die Marktliberalisierung stellt die ab Januar 2009 in Kraft tretende „Anreizregulierung“ dar, die in einer fünfjährigen Regulierungsperiode umgesetzt werden soll. Den Netzbetreibern werden dabei Obergrenzen für die zu erzielenden Erlöse vorgegeben. Zugleich findet ein Kostenvergleich zur Effizienz der Energienetze statt, an dem sich die jeweiligen Netzbetreiber bundesweit messen lassen müssen. Dadurch sollen ineffiziente Netzbetreiber dazu veranlasst werden, Kostenbestandteile zu reduzieren. Zusätzlich wird die Erlösobergrenze eines jeden einzelnen Netzbetreibers jährlich um einen von der Bundesnetzagentur festgelegten Prozentsatz abgesenkt.

Diese Regelung wird vor allem von kommunalen Versorgern und Stadtwerken kritisiert, die sich gegenüber den großen Energiekonzernen benachteiligt fühlen. Die kommunalen Betriebe können Einsparpotenziale schlechter erkennen und nutzen Ihre Gewinne oft, um Bereiche wie öffentliche Verkehrsmittel, Kindergärten oder kulturelle Einrichtungen zu subventionieren.

Doch nicht nur Stadtwerke haben in der Vergangenheit die Stromnetze als Einnahmequellen genutzt. Nach Hochrechnungen haben die Netzbetreiber seit 2006 etwa 21 Milliarden Euro an Netzgebühren eingenommen, wovon lediglich ein Zehntel auch tatsächlich in die Instandhaltung der Nezte geflossen sein soll. Der Zustand der teilweise veralteten Stromnetze erfordert aber nach Einschätzung der Bundesnetzagentur sehr viel höhere Investitionen, andernfalls würde man mit häufigeren Stromausfällen rechnen müssen.

Die zukünftigen Eigentumsverhältnisse der deutschen Stromnetze sind stark umstritten. Nach dem Willen der EU sollen die Geschäftsbereiche der Stromproduktion und des -vertriebes zwangsweise voneinander unabhängig gemacht werden („Unbundling“). Nur wenn das natürliche Monopol der Stromübertragungsnetze in einer Hand ruhe, die nicht am privilegierten Netzzugang einiger Anbieter und an höheren Zugangsschwellen für andere Versorger interessiert sei, werde es einen wirklichen offenen Wettbewerb geben, so die Argumentation.

Die Bundesregierung propagiert im Gegensatz dazu den so genannten „Dritten Weg“, in dessen Rahmen die Netze im Besitz der Stromversorger bleiben sollen. Dies entspricht den staatlichen Interessen nach starken Energiekonzernen, die international agieren und verhandeln können. Andere Politiker fordern eine Verstaatlichung der Strom- und Gasnetze, um so den Zugang direkt regulieren zu können.

Ende Februar 2008 kündigte der E.ON-Konzern überraschend an, einen Teil seines Fernübertragungsnetzes sowie Kraftwerkskapazitäten veräußern zu wollen. Dieser Schritt kam auf Druck der EU-Kartellwächter zustande, die im Gegenzug anhängige Verfahren gegen den Konzern einstellte. Die Bundesregierung wurde von dieser Ankündigung überrascht und reagierte wenig erfreut über diesen „faulen Deal“.

Sollte E.ON seine Hochspannungsnetze tatsächlich verkaufen, würden etwa 10.600 km Leitung den Besitzer wechseln. Das regionale Verteilernetz, das weitere 22.000 km ausmacht, will der Konzern behalten und weiterhin kontrollieren.

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Über Rechtsanwalt Hanno Blatzheim

Rechtsanwalt Hanno Blatzheim ist seit 1997 (Magazin Focus) auf dem Spezialgebiet des Energierechts tätig. Er hat die Liberalisierung des Energiemarktes seit April 1998 von Beginn an begleitet und schon 1997 im Nachrichtenmagazin Focus und 1998 und 1999 im ZDF-Magazin Frontal auf erhebliche Missstände bei Stromtarifen und Stromabrechnungen hingewiesen. Laut ZDF-Magazin Frontal ist er einer der Experten in Deutschland. Er berät Energieverbraucher und Unternehmen in Deutschland und Europa in allen rechtlichen Fragen der Energieversorgung. Für Stromkosten. de und Energiekosten.de schreibt er exklusiv über aktuelle Themen und berichtet aus der anwaltlichen Praxis.