10 Jahre Öffnung der Energiemärkte
Teil 3 der Jubiläumsserie
Regulierung der Stromnetze in Deutschland
Eine kritische Betrachtung zu gesetzlichen und politischen
Versäumnissen bei der Strommarktliberalisierung
Nach Verkündung des neuen Energiewirtschaftsgesetzes am 24.04.1998 hatte sich der Gesetzgeber in Deutschland weitgehend für eine Öffnung der Strommärkte entschieden.
Nach den gesetzlichen Vorgaben sollten die Bedingungen zur Benutzung der Stromnetze kostenorientiert und diskriminierungsfrei sein.
Der Zugang zu den Stromnetzen im Detail wurden jedoch gesetzlich nicht geregelt.
Ein schwerwiegendes Versäumnis mit weitreichenden Folgen für deutsche Energieverbraucher.
Schon 1998 galt es als gesicherte Erkenntnis, dass der preisgünstige Zugang zu den Versorgungsnetzen für alternative Stromlieferanten der Schlüssel zur Marktöffnung und zum Wettbewerb ist.
Anstatt 1998 eine Regulierungsbehörde für die Bestimmung der Durchleitungsbedingungen und Netzentgelte zu installieren, vertraute die Rot-Grüne Bundesregierung auf die „Selbstregulierungskräfte der Stromwirtschaft“.
Unverbindliche Kriterien zur Bestimmung von Durchleitungsentgelten wurden erstmals mit der Verbändevereinbarung I am 18.05.1998 eingeführt.
Beteiligte waren unter anderem der Verband der industriellen Energie- und Kraftwirtschaft in Essen (VIK) und der Verband der Elektrizitätswirtschaft in Berlin (VDEW). Ebenfalls beteiligt waren der Bundesverband der Verbraucherzentrale in Berlin (VZBV) und der Bundesverband der deutschen Industrie in Berlin (BDI).
Da diese 1. Vereinbarung nicht annähernd dazu geeignet war, einen effektiven, preisgünstigen und diskriminierungsfreien Zugang für Wettbewerber zu garantieren wurde am 13.12.2001 die sogenannte Verbändevereinbarung II eingeführt.
Im Rahmen dieser 2. Vereinbarung sollten Defizite der 1. Vereinbarung kompensiert werden.
Leider erwiesen sich beide Netzzugangsregelungen auf Vertragsbasis als untauglich!
Zum Auftakt dieser Serie am 24.04.2008 wurde bereits ausführlich über das „Große Sterben“ der alternativen Stromlieferanten Anfang 2002 berichtet.
Der Netzzugang auf Vertragsbasis war damit gescheitert.
Weder der parteilose Wirtschaftsminister Werner Müller noch der SPD Nachfolger Wolfgang Clement sahen sich veranlasst, diese unheilvolle Entwicklung durch Schaffung einer Regulierungsbehörde zu stoppen.
Diese Haltung der Bundesregierung ist aus damaliger und heutiger Sicht unverständlich.
In der Telekommunikationsbranche wurde Wettbewerb in den bestehenden Netzen durch Regulierungsmaßnahmen von Anfang an konsequent durchgesetzt. Warum nicht in der Energiewirtschaft?
Bereits in der Startphase der Telefonnetzliberalisierung hatte die Regulierungsbehörde internationale Preisvergleiche und Konditionen für die Zusammenschaltung der Netze sowie die entsprechenden Durchleitungsentgelte festgelegt.
Dadurch wurde zunächst im Bereich der Ferngespräche der Wettbewerb ermöglicht.
Entsprechende Preisvergleiche gab es im Jahre 1999 auch für die Stromwirtschaft.
Untersucht wurden hierzu die Übertragungsnetze auf Hoch- und Höchstspannungsebene zwischen 66.000 und 220.000 Volt in anderen liberalisierten Märkten.
Als Vergleichsmärkte dienten zu diesem Zeitpunkt England und Wales, Norwegen und die USA. Die Ergebnisse dieser internationalen Vergleiche waren vernichtend für die deutschen Netzbetreiber.
So betrugen beispielweise die Übertragungsentgelte auf der 110.000 Volt-Ebene bei einer Entfernung von 500 km in den Schwachlaststunden 25,05 € pro Megawattstunde – in den Vergleichsmärkten nur 3,57 € pro Megawattstunde.
Preisunterschiede von 250 bis 600 % gegenüber den Vergleichsmärkten waren daher bei den deutschen Netznutzungsentgelten im Übertragungsnetzbereich feststellbar.
Somit hätte bereits 1999 für die Politik feststehen müssen, dass so Wettbewerb in Deutschland nicht funktionieren konnte.
Die Netzentgelt und Netzzugangsregelung nach Verbändevereinbarung I und II führte auch im innerdeutschen Vergleich zu grotesken Ergebnissen.
Der durchschnittliche Netznutzungspreis für Haushaltskunden und Gewerbekunden auf Niederspannungsebene lag bei 6,12 Cent pro Kilowattstunde.
Einzelne Anbieter, speziell in den neuen Bundesländern verlangten jedoch für die gleiche Leistung 8,05 Cent pro Kilowattstunde.
Bei den gewerblichen Mittelspannungskunden betrugen die Preisunterschiede innerhalb der Deutschen Netze sogar mehr als 100 %.
Am 17.02.2000 lag das Netzentgelt des Branchenprimus RWE für Haushalts- und Gewerbekunden im Niederspannungsnetz ohne Leistungsmessung bei 6,54 Cent pro Kilowattstunde.
Demgegenüber beträgt das heute im Jahre 2008 zu zahlende Netzentgelt für Haushalts- und sonstige Niederspannungskunden bei einem durchschnittlichen Jahresverbrauch von 3.000 Kilowattstunden 6,08 Cent pro Kilowattstunde (Bruttojahresleistungspreis 17,85 € zuzüglich 5,48 Cent pro Kilowattstunde).
Diese Preise beinhalten jedoch nicht die jeweils an die Gemeinde zu zahlende Konzessionsabgabe, die zusätzlich berechnet wird. Die Preise enthalten demnach lediglich die Zuschläge nach dem Kraft-Wärme-Kopplungs-Gesetz in Höhe von brutto 0,237 Cent pro Kilowattstunde und die Umsatzsteuer in Höhe von 19 %.
Somit steht fest, dass sich die Netznutzungspreise des Jahres 2000 gegenüber dem Jahre 2008 für Endkunden nur unwesentlich verringert haben.
Dies verwundert angesichts der dramatischen Preisunterschiede im internationalen Vergleich. So beträgt das Durchleitungsentgelt in liberalisierten Märkten wie den USA nur ein Bruchteil der in Deutschland durchschnittlich zu zahlenden Preise.
Ein wichtiges Indiz dafür, dass auch heute im Jahre 2008 die Markliberalisierung noch lange nicht den Stand erreicht hat, den der Gesetzgeber sich im Jahr 1998 gewünscht hätte.
Erst auf Druck der Europäischen Union wurde im Juli 2004 ein 2. Gesetz zur Neuregelung der Energiewirtschaft vorgelegt.
Mitte des Jahres 2005 wurde dann eine Regulierungsbehörde in Form der Bundesnetzagentur in Bonn etabliert. Diese übernahm dann erstmals 2006 auch die Aufsicht über die Energienetze.
Erst im Jahre 2007 wurden die beantragten Netzentgelte durch die Regulierungsbehörde um rund 3 Milliarden € gekürzt. Es folgten weitere Kürzungen, die bei den Übertragungsnetzbetreibern zwischen 25 und 29 % lagen.
Im Sommer 2007 veröffentliche die Bundesnetzagentur sodann die „Geschäftsprozesse zur Kundenbelieferung mit Elektrizität“ (GPKE), welche eine weitere Verbesserung der Kommunikation zwischen Energieversorgern ermöglichen sollte.
Wichtigstes Instrument der Marktliberalisierung nach dem aktuellen Gesetzesstand stellt die sogenannteAnreizregulierung (im englischen auch price-cap Regulierung genannt) dar.
Bei der Anreizregulierung handelt sich um ein Regulierungsinstrument der zuständigen Behörden, um Kostensenkungen für die Strom- und Gasnetze durchzusetzen.
Dem jeweiligen Netzbetreiber werden Obergrenzen für die zu erzielenden Erlöse vorgegeben. Zugleich findet ein Kostenvergleich zur Effizienz der Energienetze statt, an dem sich die jeweiligen Netzbetreiber bundesweit messen lassen müssen.
Ineffiziente Unternehmen sollen von der Bundesnetzagentur dazu veranlasst werden, die für die Ineffizienz verantwortlich Kostenbestandteile abzubauen und zu verbessern.
Zusätzlich wird die Erlösobergrenze eines jeden einzelnen Netzbetreibers jährlich um einen von der Bundesnetzagentur festgelegten Prozentsatz abgesenkt.
Laut statistischem Bundesamt haben die Netzbetreiber in den Jahren 2006 und danach über 21 Milliarden € an Netzgebühren eingenommen. Demgegenüber wurde nur 1/10 dieser Summe wieder in die Netze reinvestiert.
Ein weiteres Indiz dafür, dass der Wettbewerb in den Energienetzen noch lange nicht angekommen ist.
Hinzu kommt, dass die großen Übertragungsnetze ausschließlich im Besitz der 4 großen Konzerne E.on, RWE, Vattenfall und EnBW sind. Diese verfügen zugleich über 80 % der Kraftwerksleistungen in Deutschland.
Dies hat unter anderem dazu geführt, dass auf Druck der EU-Kommission und der Bundesnetzagentur der Branchenriese E.on über einen Verkauf seiner Übertragungsnetze nachdenkt, um Sanktionen auf europäischer und nationaler Ebene zu vermeiden.
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass seit Beginn der Marktliberalisierung im April 1998 die Netznutzungsentgelte für private und gewerbliche Verbraucher nur unwesentlich gesunken sind.
Sie befinden sich im internationalen Vergleich auf höchsten Niveau gegenüber anderen liberalisierten Strommärkten. Sie machen je nach Anbieter 30 bis 40 % der gesamten Energiekosten aus und sind somit neben Steuern und Abgaben ein gewichtiger Faktor der Preisbildung.
Da auf diese Netznutzungsentgelte zusätzlich 19 % Umsatzsteuer erhoben werden, wirkt sich dieser Preisbestandteil 2-fach negativ auf die Stromrechnung aus. Ob die Anreizregulierung letztlich dazu geeignet ist, Wettbewerbspreise auch im internationalen Vergleich darzustellen, bleibt fraglich.
Branchenkenner gehen vielmehr davon aus, dass auch in den nächsten 3 Jahren keine so signifikanten Preissenkungen eintreten werden, als das die deutschen Stromnetze im internationalen Vergleich wettbewerbsfähig wären.