Teil 4 der Serie „10 Jahre Strom- und Gasmarktliberalisierung in Deutschland“

Energiebörsen

In liberalisierten Energiemärkten werden Strom, Gas, Kohle und seit neuestem auch Emissionszertifikate an Energiebörsen gehandelt. Hier sollen sich im freien Spiel von Angebot und Nachfrage die Handelspreise für die wichtigsten Energieträger bilden. Diesem Anspruch stehen jedoch einige strukturelle Hindernisse gegenüber.

Börsensysteme für Energieträger wurden ab Mitte der 1980er Jahre von dem – in der Zwischenzeit wegen Bilanzfälschungen und Konkurs im Jahr 2001 berüchtigten – amerikanischen Konzern Enron entwickelt.

Die erste Strombörse in Europa nahm 1993 in Norwegen ihren Betrieb auf. Nordpool ist heute der wichtigste Handelsplatz für Energie in Nordeuropa und ist im Besitz staatlicher Netzbetreiber aus Schweden und Norwegen.

Die Handelspreise für Strom in Deutschland entstehen an der Energiebörse European Energy Exchange (EEX) in Leipzig. Die, gemessen an Teilnehmern und Handelsvolumen, größte kontinentaleuropäische Strombörse entstand im Jahr 2002 aus der Fusion der bis dahin in Frankfurt am Main ansässigen European Energy Exchange (EEX) mit der Strombörse Leipzig Power Exchange (LPX). Heute kaufen und verkaufen etwa 200 Handelsteilnehmer aus 19 verschiedenen Ländern dort Strom, Gas, Kohle und Emissionszertifikate.

Elektrizität wird, je nach Lieferzeitraum, entweder im Spothandel oder auf den Terminmärkten umgeschlagen. Der Spothandel bietet Raum für kurzfristige Transaktionen, die bis zu 75 Minuten vor Liefertermin getätigt werden. So können die Energieversorger kurzfristige Engpässe schließen oder Überkapazitäten anbieten. Je nach klimatischen Bedingungen und Nachfragesituation kann der Strom hier überdurchschnittlich teuer sein oder sogar kostenlos angeboten werden. Auf den Terminmärkten werden sogenannte „Futures“ gekauft und verkauft. Dies sind Terminverträge, die bis zu sechs Jahre in die Zukunft reichen. Mit Hilfe dieser langfristigen Verträge können sich Stromerzeuger und –lieferanten Planungssicherheit verschaffen.

Die über die Börse gehandelte Elektrizität macht jährlich nur etwa 13 Prozent der insgesamt in Deutschland verbrauchten Strommenge aus. Es kann also keineswegs davon gesprochen werden, dass die gesamte produzierte Strommenge in Deutschland an der Börse gehandelt wird.

Die verbleibenden 85 Prozent werden über direkte Lieferverträge abgewickelt. Für diese Lieferverträge werden jedoch die an der Strombörse ausgehandelten Preise als Referenzen und Standardwerte herangezogen.

Diese Konstellation bietet einen großen Vorteil für Stromversorger, die über eine eigene Stromproduktion verfügen und somit weniger abhängig von Marktentwicklungen sind. Ein weiteres strukturelles Problem der Strombörsen weltweit ist die geringe Anzahl von Marktteilnehmern. So sind an der EEX in Leipzig nur knapp über 200 Händler und Verkäufer aktiv. Bei dieser geringen Anzahl von Akteuren können die Aktivitäten einiger Händler die Preisentwicklung stark beeinflussen.

Im August 2007 gelangten Informationen an das ZDF-Magazin „Frontal 21„, laut denen die Händler großer Finanzinstitute in London Marktmanipulationen und Preisabsprachen betreiben würden. Auf diese Weise würden die Strompreise künstlich in die Höhe getrieben und die beteiligten Händlergroße Gewinne erwirtschaften. Die Zeche für diese illegalen Absprachen müssten letztendlich die Verbraucher zahlen. Tatsächlich war der Durchschnittspreis für eine Megawattstunde in den Jahren 2000 bis 2006 um über 300 Prozent angestiegen.

Die Börsenverantwortlichen wehrten sich entschieden gegen diese Vorwürfe und verwiesen auf die strenge Börsenaufsicht, der alle Transaktionen an den Energiebörsen unterstellt seien. Weiterhin würde die deutsche Strombörse im Vergleich zu anderen europäischen Märkten keine auffälligen Preisentwicklungen zeigen – die Preise seien überall in ähnlicher Weise gestiegen. Eine konkrete Manipulation sei also nicht nachzuweisen.

Nach Ansicht von Experten sind derartige gezielte Manipulationen jedoch nicht im geringsten notwendig, um die Preise an den Strombörsen auf höchstmöglichem Niveau zu halten. Allein die geringe Zahl der Handelsteilnehmer und das erlernte Marktverhalten der Stromverkäufer würde diesen Effekt hervorbringen. Unter den gegenwärtig herrschenden Voraussetzungen sei kein freies Spiel von Angebot und Nachfrage zu erwarten. Hierzu müsse die Zahl der Marktteilnehmer und vor allem das Volumen der gehandelten Strommengen sehr viel höher sein.

Die Energieversorger verweisen bei den regelmäßigen Erhöhungen der Strompreisegerne auf die gestiegenen Bezugspreise an der Strombörse.

 

 

Diese Argumentation ist nicht immer stichhaltig, denn der an der Börse gehandelte Strom macht wie bereits erwähnt nur einen geringen Bruchteil der gesamten Strommenge aus. 87,5 Prozent des verbrauchten Stroms werden in mittel- und langfristigen Direktverträgen gehandelt. Man spricht hier vom so genannten OTC over the counter)-Handel, der nicht an den Energiebörsen sichtbar wird und zwischen Stromproduzenten und Stromabnehmern durch unmittelbare Lieferverträge vollzogen wird. Stromversorger mit eigenen Kraftwerken sind daher nur teilweise an die Preisentwicklung der Strombörsen gebunden. Weiterhin sind die Kosten der Stromanbieter von deren Einkaufspolitik an der Strombörse abhängig, die selbstverständlich nicht offen dargelegt wird. Der Großhandelspreis selbst macht letztendlich auch nur etwa ein Drittel des Endverbraucherpreises aus – der größte Teil der Kosten wird von Transport, Netznutzung und Steuern verursacht.Aus diesen Gründen ist es nicht zu rechtfertigen, besonders hohe Preisausschläge an der Strombörse dafür zu benutzen, um Preiserhöhungen bei Endverbrauchern durchzusetzen. Solche Preisausschläge dürften sachgerechter Weise nur mit dem jährlichen Durchschnittspreis und nur mit einer Quote von 12,5 Prozent zu 87,5 Prozent eingepreist werden.

Aufgrund dieser komplexen Zusammenhänge können die Zahlen der Energiebörsen für verschiedenste Argumentationsrichtungen instrumentalisiert werden, weshalb man stets die hinter den Darstellungen stehenden Interessen im Blick behalten sollte.

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Autor: Hanno Blatzheim, Thorsten Storck

 

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Über Rechtsanwalt Hanno Blatzheim

Rechtsanwalt Hanno Blatzheim ist seit 1997 (Magazin Focus) auf dem Spezialgebiet des Energierechts tätig. Er hat die Liberalisierung des Energiemarktes seit April 1998 von Beginn an begleitet und schon 1997 im Nachrichtenmagazin Focus und 1998 und 1999 im ZDF-Magazin Frontal auf erhebliche Missstände bei Stromtarifen und Stromabrechnungen hingewiesen. Laut ZDF-Magazin Frontal ist er einer der Experten in Deutschland. Er berät Energieverbraucher und Unternehmen in Deutschland und Europa in allen rechtlichen Fragen der Energieversorgung. Für Stromkosten. de und Energiekosten.de schreibt er exklusiv über aktuelle Themen und berichtet aus der anwaltlichen Praxis.